“Ich bann' dich bis nach Feuerland-Mitte!” – Mastodon und Moderation
Die schöne neue Mastodonwelt kann nicht funktionieren, wenn sie nicht vernünftig moderiert wird. Ja, auch wenn wir freiheitsliebenden Mastodonis nicht gerne kontrolliert werden, brauchen wir dringend viele engagierte “Wächter über die guten Sitten” oder eher Community-Manager, die sich um die Einhaltung der Serverregeln kümmern.
Das Mastodon-Paradox war, dass es trotz einem Mehr an Serverregeln am Schluss zu mehr Freiheit für den einzelnen Nutzer kommt, da er sich sicher sein kann, dass seine persönlichen Befindlichkeiten auf seiner Instanz zumindest versucht werden, in einen Schutzraum zu stellen. Garantiert und umgesetzt sollte dies im besten Fall von engagierten Admins und Moderatoren werden.
Und die Internet-Geschichte hat zumindest gezeigt, dass dies gar nicht so schwer sein muss.
Moloch der Konzernwelten
Aber kommen wir einmal zum Gegenbeispiel. Und dies sind in diesen Tagen mal wieder die großen Social-Media-Konzerne. Moderation hat nicht nur seit Elon Musks Twitterkauf eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung der User mit den jeweiligen Plattformen gespielt.
Nicht zuletzt das NetzDG In der Vermischung mit anderen Länderen, wie natürlich federführend immer wieder die USA, kommt es zu absurden Situationen in denen es zu Schrödinger-Tweet-Lösch-Anfragen kommt.
Twitterer aus Drittländern werden unter dem Mantel des NetzDG unter die Lupe genommen und natürlich deutsche Tweets auch. Es entsteht ein Rechts-Chaos und durch die nachhaltige Verwirrung dadurch ein rechtsfreier Raum. Twitter, Facebook und co. scheinen den rechtlichen Rahmen sehr, sehr weit auszdehnen und sogar zu brechen, wie man beispielsweise an den jüngsten Klagen gegen Twitter durch Anwalt Jun im Namen von Michael Blume sieht ( Beispielhaft: https://www.youtube.com/watch?v=5SS2g3FXTQc).
Und diese Klagen sind auch richtig, um hier Twitter zu zwingen, einen transparenten Referenzrahmen für die User zu schaffen. Denn seien wir mal ehrlich: Kann wirklich ein User vorhersagen, wann ein Tweet gelöscht wird? Wann ein User gebannt wird? Wann dies permanent oder doch temporär ist?
Also ich blicke als Twitter-User, der seit 2009 auf der Plattform angemeldet und spätestens mit Corona und der us-amerikanischen Präsidentschaftswahl von 2020 twittersüchtig geworden ist, nicht durch.
Und Vorsicht, hier kommt jetzt ganz viel Bauchgefühl: Krasse Nazitweets werden gelöscht, aber leider nicht immer.
Nutzer werden aufgrund von Massenmeldungen wegen Lappalien gesperrt, andere wegen anscheinend nur wenigen Meldungen dann nicht.
Twitterprominenz bringt Engagement, bringt Werbung, bringt Geld und daher sind dann doch ein paar Nutzer gleicher als andere.
Ingesamt ein verwirrendes Moderationskonstrukt, das nicht gerade für Transparenz und Vertrauen in die “freie und geschützte Meinungsäußerung” sorgt.
Hinzu kommt natürlich, dass Facebooks und Twitters Moderatorenteam anscheinend chronisch unterbesetzt sind. Dann kommt wieder einmal der berühmte Algorithmus ins Spiel und sortiert Meldungen automatisch vor. Wie und warum und wieso das passiert bleibt natürlich für den Nutzer hinter einem Schleier des Unwissens versteckt.
Und warum sollte das Mastodon besser machen?
Wie Phönix aus der Asche
Wenn wir uns einmal die Entwicklung des Weltnetzes der letzten 20 Jahre betrachten, so sehen wir, das Moderation gelingen kann. Die späten 1990er und die frühen 2000er sahen den Aufstieg der Internetforen. Eigentlich alles privat betriebene, kleine Social-Media-Instanzen, die jedes Thema abdeckten und abdecken: Von historischen Strategiespielen bis hin zum südbengalischen Schuhplattlern war wohl alles dabei.
Wie jede soziale Gemeinschaft entwickelt sich meist recht schnell ein Team aus Admins und Moderatoren, das über die Forenregeln wachten. Wie diese Aussehen, kann das Forum selber bestimmen. Manche gehen strickt gegen jede Nacktheit in Bildern vor, andere unterbinden klar politisch-extreme Meinungen und andere achten nur darauf, dass keine Links zu Raubkopien gepostet werden, ansonsten gilt “Alles kann, alles muss”.
Die Reichweite der eigenen Themen ist genauso divers, wie der Umgang mit Regeln. Die Foren, die am längsten und auch heute noch überleben, haben es meistens geschafft, hier eine gute Balance zusammen mit den Usern herzustellen. Aber es kommt auch zu Abspaltungen etc. wenn der Admin ein kleiner Tyrann ist, oder anders, keine Nazis in seinem Forum haben will.
Auf der anderen Seite der Skala hat man dann natürlich Reddit, obwohl wir hier natürlich eigentlich auch nur von einer klassischen Forensammlung reden. Und dann gibt es natürlich noch die Imageboards auf der Schmuddelseite des WWW. Aber ehrlich: Auch wenn ich pr0gramm, 4chan und andere nicht mehr frequentiere, so hatte ich den Eindruck, dass auf diesen Plattformen die Moderation teilweise klarer, transparenter und auch konsequenter durchgeführt wird, als bei Twitter und Facebook.
Die meisten Mastodonis hatten bestimmt schon einmal virtuellen Stress mit einem Forums-Moderatoren, zumindest wenn man die Alterstruktur betrachtet: Mastodons primäre Alterskohorte setzt sich aus Millenials und Generation Xern zusammen, die bestimmt Mitglied in dem einen oder anderen Internet-Forum waren und noch sind.
Und hat das geklappt? Ja, das hat es und es klappt noch immer.
Es kann gut und sogar noch besser werden
Wenn man die Beschreibung von Foren liest, so ist die Ähnlichkeit zum Fediverse und hier speziell Mastodon natürlich sehr stark. Und daher bin ich fest der Überzeugung, dass sich hier genauso eine Instanzen-Kultur im Spiel mit den festgelegten Regeln geben wird (oder schon gibt) wie bei den sozialen Vorgängern.
Sicherlich, das ist Arbeit und es werden hier natürlich wie immer engagierte Mitglieder gebraucht, die Zeit investieren, um Postmeldungen hinterherzuklicken. Große Instanzen werden andere Probleme haben als kleinere. Bei der einen geht es in der Entscheidungsfindung transparenter zu als bei einer anderen. Es wird das gleiche Spiel sein, wie wir es schon einmal hatten.
Foren wurden durch das Aufkommen der großen Social-Media-Konzerne marginalisiert. Es wäre schön, wenn durch das Fediverse das Gute an dieser Kultur wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden würde.
Es wird sogar noch um einen Aspekt erweitert: Sicherheit. Wenn man aus einem Forum ausgeschlossen wird, dann kann man mitunter Pech haben und man findet keine Alternative. Es gibt halt nur ein aktives Forum zu Fliegenfischen in der Osteifel.
Wird man aus einer Mastodon-Instanz rausgeworfen und das ohne triftigen Grund, dann wechselt man einfach die Instanz.
Und wenn man da auch gebannt wird, weil man einfach ein riesengroßes Arschloch ist, dann kann man sich sicher sein, dass dies wenigstens von einem Mensch durchgeführt worden ist und keinem Algorithmus.