Degoogle my life
Teil 1 – Meine Google Story – Ist es ohne nötig und warum überhaupt?
Der Januar ist schon ein wahrlich komischer Monat. Nach Stress und Besinnlichkeit in den letzten Jahresmonaten, fühlt sich der Januar immer wie der ungeliebteste Monat im Jahresrund an. Es ist kalt, es ist dunkel, es passiert irgendwie nichts aufregendes. Unnützigkeit dominiert.
Ja, es startet das neue Jahr und man nimmt das zum Anlass, um zum „new year, new me“ zu blasen, wie es seit Neuestem um das ganze Erdenrund bläst. Ohne irgendwie bei Neujahrsvorsätzen großartig mitzumachen, zieht es mich von der Techseite her komischerweise im Januar öfters in tiefe Rabbitholes, die ich voll und ganz ausnutze.
2018/2019 habe ich Linux für mich entdeckt, schwor dem Dual-Boot ab und zerstörte schon mit wilden copy&paste-Tiraden meine erste Ubuntu-Installation.
2021/2022 bin ich mit vollem Körpereinsatz in den Selfhosting-Pool gesprungen und habe meine eigene Nextcloud aufgesetzt, war von Proxmox begeistert und meine Passwörter lagen nicht mehr ungeschützt im Browser, sondern bei Bitwarden (und bei mir).
Und nun hat es mich wieder einmal erwischt und ich bin im Degoogle-Wunderland gelandet.
New Year Extravaganza
Und das Ganze eigentlich ohne richtige Not.
Denn eigentlich finde ich Google richtig, richtig gut. Oder spezifizieren wir es ein wenig: Ich finde die Produkte von Google richtig, richtig gut.
2009 fing ich als Redakteur bei der PC-Praxis an und hatte eine Mailadresse bei GMX. Die Offenbarung kam in dem Moment, als ich das erste mal Googlemail auf dem Bildschirm erblickte. Wir erinnern uns, die ersten Jahre durfte sich GMail nicht so nennen, wegen eines Rechtstreits. Die Weboberfläche war schnell, übersichtlich, die Suche ungeschlagen und das Handle @googlemail.com umwehte ein Hauch von Tech-Weisheit.
Von da an war ich ein Google-Jünger und ich sog regelrecht Alles auf, was von dem Suchmaschinenriesen kam:
• Mein erstes Smartphone war ein Milestone 2 von Motorala. Bis auf einen Ausflug zum iPhone 4 hatte ich nur Android-Geräte und halte das Google-Betriebssystem immer noch für die beste mobile Variante. Weit vor iOS. Es folgten auch Google-“Eigenentwicklungen“ wie das Nexus 5, das Nexus 7-Tablet, Nokia 7+ mit dem Stock-Android-OS und letztes Jahr das Pixel 6. Ich finde Stock-Android großartig und kann das, was bspw. Samsung mit Android anstellt, überhaupt nicht leiden. Bloatware deluxe.
• Google Chrome nutzte ich seit der ersten Version und entsagte Firefox damals. Das ging bis 2021 so.
• Ich bin in den Google Services drin bis Unterkante-Oberlippe. Es kam über die Jahre immer mehr dazu und eigentlich genoss ich jeden Service davon, egal ob GDrive, Photos, natürlich Maps und alle Anderen. Ich gehörte auch zu den Opfern des Google-Reader-Tods und habe auf Stadia Cyberpunk und Red Dead Redemption 2 durchgespielt. Meine Familie ist jetzt mit Family-Link im Google-Kosmos verbunden und meine Nextcloud-Backups landen auch auf Gdrive mittels Rclone.
• Ich habe auch Google Home bzw. Nest bis zu einem gewissen Grade mitgemacht, hatte Google Wifi, ein paar Home Minis, die Google Einem umsonst hinterher geschmissen hatte und nutze Chromecast für Audio- und Video-Streaming.
Auf der anderen Seite bin ich nicht der großartigste Proponent, was Datenschutz und Privatssphären-Schutz angeht. Ich habe immer alles mitgemacht, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Angetrieben natürlich von meiner Zeit als Tech-Journalist. Da musste ich alles ausprobieren, was rauskam, um vielleicht den nächsten Artikel darüber zu schreiben oder das nächste Buch zum Thema vorzuschlagen. Von mir gibt es sicherlich mehr tote Accounts von gestorbenen IT-Start-Ups, als manche Menschen überhaupt digitale Zugänge haben.
Mir kann da schon Nichts passieren – oder?
Zudem war ich immer der Meinung:
Google bietet einen guten Service, das Meiste umsonst, dann sollen sie doch mit meinen Daten was machen und mir Werbung zeigen. Fair Game, ich weiß ja, dass der Konzern es macht. Auch bei anderen Konzernen und Online-Plattformen war ich da immer sehr großzügig, was meine Daten anging. Ich dachte: Als kleines Rad am Wagen, gehe sowieso in der Masse unter.
Dann kam Trump, dann kam Corona, dann kamen verbesserte KI-Systeme …
Trump und Corona haben der Welt und mir gezeigt, dass die Grundfesten unseres Lebens einfach mal durchgeschüttelt werden können. Die letzten Jahre waren einfach verrückt und alles andere als stabil; disruptiv, wie man im Neudeutschen so schön sagt. Wer kann mir garantieren, dass Google nicht einfach von Trump 2026 verstaatlicht wird? Dass die EU Google zerschlägt und dies in einem totalen Rückzug aus Europa mündet, ohne dass der Service in einen oder mehrere lokale Konzerne übergeführt wird? Es ist unwahrscheinlich, aber möchte ich mein digitales Leben diesem Risiko aussetzen, wo es doch mittlerweile einen großen Teil des realen Lebens ausmacht.
Zudem wird die „KI“ immer leistungsfähiger, was auch Algorithmen „besser“ werden lässt. Jeder Internetnutzer wird dadurch auch spürbar nackter. Natürlich geht man weitestgehend in der Menge unter, aber durch gewisse Pattern-Erkennungen kann man heutzutage viel schneller aus der Masse gezogen werden.
Also wollte ich auf der einen Seite nicht alle Eier in einem Korb liegen haben, die schnell zerbrechen können und ich im schlimmsten Fall nicht mehr an die Fotos meiner Kinder komme.
Auf der anderen Seite, möchte ich digital schlanker werden, unnütze und meiner Meinung nach Dienste mit falschen Grundvoraussetzungen kündigen und das nötige Tracking auf ein Minimum reduzieren.
Und im Endeffekt möchte ich mit der Sache auch einfach Spaß haben, neue OS ausprobieren, App-Ersatz recherchieren, Self-Hosting ausbauen, etc. cc.
So bin ich auch den Vegetarismus, Linux und anderes angegangen. Nicht großartig ideologisch. Aber ich bin dabei geblieben.
Hey, und ich weiß auch, dass ich auf die Vorarbeit von Pionieren bauen kann. Linux, vegetarische Ernährung und bestimmt auch ein De-Googletes-Leben sind 2023 einfacher als noch 2001.
Also schauen wir einmal, wohin mich dieser Teil meiner Lebensreise nun führt.
Zum zweiten Teil der Serie: Ubuntu Touch; “Nice try, aber lass uns Freunde bleiben.”