Krieg hat auch grafischen Einfluss auf die Landschaft: Hier wird in einem verheerenden Krieg zwischen Russland und Deutschland Polen verwüstet
Ich bin ein sehr großer Fan der historischen Grand Strategy Games von Paradox Interactive. Seitdem ich 2005 über Europa Universalis 2 auf der Abandonware-Seite www.homeoftheunderdogs.net gestolpert bin (erstaunlicherweise gibt es diese noch) und ich mir über Torrent eine Spielversion gezogen hatte, liebe ich diese Spiele.
Und ja, ich habe schon bei diversen Conventions beim CEO und diversen Chefprogrammieren Abbitte bei Paradox dafür geleistet. Sie gaben sogar zu, dass Raubkopien die Einstiegsdroge für ihre Spiele darstellen würden. Wer die Spiele mag, würde zum Fan und gibt dann auch anschließend richtiges Geld für Spiele und Add-Ons aus. Und ja, ich habe viel Geld in Paradox-Spiele über die Jahre gesteckt. Wir Paradox-Jünger machen da gerne und oft das Portmonee auf. Das ist natürlich keine Ausrede für digitale Piraterie, denn wie wir alle wissen, ist diese ja böse-böse. ;)
Aber über die Add-On und Entwicklungspolitik von Paradox will ich hier nicht schreiben, sondern über das kürzlich erschienene neuste Spiel Victoria 3.
Eine Schlacht wird in Victoria 3 ausgefochten
Legt man alle Paradox-Spiele chronologisch hintereinander, so kann der geneigte Spieler rein theoretisch den selben Landstrich vom Tod Alexanders des Großen bis kurz nach dem 2. Weltkrieg spielen. So er denn in Europa liegen sollte. Victoria 3 steigt im Jahre 1836 mit dem Spielerlebnis ein und endet hundert Jahre später.
1837 wurde Queen Victoria gekrönt und gab durch ihre lange Herrschaft und dem Machthöhepunkt des britischen Empires der Epoche des nach-napoleonischen 19. Jahrhunderts ihren Namen. Und auch dem Spiel.
Jedes Paradox-Game hat eine Grund-Thematik, die sich durch das ganze Gameplay zieht. Bei Europa Universalis ist es das brettspieleske Erobern, bei Crusader Kings die rollenspielartige Entwicklung der Charaktere der gespielten Dynastie und bei Hearts of Iron das Kriegführen im 2. Weltkrieg.
Bei Victoria war es immer die wirtschafliche Entwicklung der Nation. Andere Aspekte kommen natürlich auch in den Spielen vor. So hat Hearts of Iron natürlich auch Diplomatie, Europa Universalis Politik und Crusader Kings die Kriegsführung, aber diese Gameplay-Features lehnen sich immer an den Hauptaspekt an.
Bei Victoria ist es nun die Wirtschaft und “boy, what a beast it is”. Die Produktionsketten sind zwar nicht mit denen eines Anno zu vergleichen, allerdings kommt eine andere Komponente hinzu, die es im Aufbau-Klassiker so nicht gibt: Der dynamische Weltmarkt.
Diesen gab es schon in Victoria 1. Der Preis einer Ware errechnete sich immer aus Angebot und Nachfrage. In den ersten beiden Spielen der Serie funktionierte der Weltmark allerdings mehr schlecht als recht, allerdings noch immer so, dass unterhaltsame Spiele dabie herauskamen.
Victoria 3 hebt das ganze nun allerdings auf eine ganz andere Ebene. Dies liegt daran, dass dem Spieler wieder mehr Kontrolle gegeben worden ist. Victoria 2 wurde in weiten Teilen zu einer Simulation, bei der der Spieler meistens nur zuschaute und als virtuelle Regierung nur sehr selten den Spielverlauf beeinflussen konnte.
War eine liberale Regierung an der Macht, die laissez faire als Grundprinzip des Wirtschaftens hatte, so konnte man nicht einmal mehr Fabriken selbst bauen. Dies übernahmen die Kapitalisten für einen. Victoria 3 dreht den Spieß nun wieder um, und lässt den Spieler Fabriken bauen, Import- und Export-Verträge abschließen, neue Märkte an den eigenen anschließen, indem der Spieler andere Länder mit Diplomaten oder aber mit Kanonenbooten überzeugt.
Dadurch lässt sich der Preis einer Ware stark beeinflussen. Das Schöne ist auch: ich bekomme ziemlich schnell Feedback, was eine Änderung bewirkt. So kann ich die gesamte Wirtschaft als Experimentierkasten benutzen, hier mal einen Importvertrag abschließen, da wieder Großfarmen bauen oder eine Werkzeugfabrik vergrößern.
Produziere ich zu viel von einem Gut, dann fallen die Preise. Fallen die Preise zu sehr, dann verdienen meine Untertanen (oder Mitbürger; je nach Herrschafts- und Staatsform) zu wenig, dann können sie sich weniger Konsumgüter leisten, dann werden sie radikal und bald schon steht die Revolution der Landbevölkerung im Verbund mit den Gewerkschaften vor der Haustür.
Das Bauen von Gebäuden ist immer noch die wichtigste Einflußnahme auf die Wirtschaft
Also schnell eine Exportroute geschaffen und schon verdienen meine Pops mehr und zahlen zusätzlich auch mehr Einkommenssteuer, wenn man seine Art, Steuern einzuziehen, auf Proportional gestellt hat. Wenn man natürlich wichtige Regierungsgüter wie Papier für die Beamten verschifft oder Waffen für die Soldaten, dann fällt wieder das eigen Budget, da die Regierung mehr Geld ausgeben muss.
Es ist zum Haare raufen! Aber im Kern macht es das aus: Wie bekomme ich zufriedene Bürger und mache als Staat das meiste Geld?
Und es gibt immer noch etwas zu tun. Und es macht Spaß.
Und hierzu spielt natürlich auch der Imperialismus bzw. Kolonialismus der Epoche eine große Rolle. So sehr ich nach Innen immer einen benevolenten sozial-liberalen Herrscher gebe und möglichst schnell Frauenwahlrecht einführe, die Arbeitsbedingungen verbessere, Renten und eine allgemeine Krankenversicherung einführe, so sehr schiebt einen das Spiel nach Außen in eine imperiale Rolle.
Um an Zucker, Gummi, Kaffee, Tee, aber auch Opium (als Grundlage der medizinischen Versorgung) zu kommen, kann ich entweder Handelsverträge abschließen oder selbst Afrika und den Pazifik kolonisieren und auch andere Länder erobern. Das ist im Endeffekt in dem Spiel ein no-brainer. Die Vorteile, die durch die neuen Ressourcen entstehen, wiegen die Nachteile vollends auf bzw. es gibt eigentlich keine.
In den Vorgängerspielen hat ein Land durch die Kolonien nicht so einen großen wirtschaftlichen Vorteil erlangt. Und eigentlich scheint es auch in der historischen Forschung Konsens zu sein, dass hier eher Geld von den Europäern für Machtambitionen verpulvert worden ist, dass Genozide durchgeführt wurden und ganze Völker unterdrückt, nur um die Großmannssucht von den Großen Playern zu erfüllen.
Victoria 1 und 2 gaben dem Spieler daher für das Besiedeln von Kolonien Siegpunkte in Form von Prestige. Diese gibt es immer noch, sind bei Kolonien ehre zweitrangig. Eine meiner ersten Handlungen im Spiel ist es, durch die Regierung die koloniale Gesetzgebung zu prügeln, um Nigeria zu “besiedeln”.
Es ist natürlich bei Strategiespielen immer ein schmaler Grad zwischen Darstellung der blanken Schandtaten, die sich in vorherigen Jahrhunderten abspielten und dem Spielspaß. Hier ist aber dieser Aspekt weitaus zu positiv dargestellt worden.
Die richtige Spielweise gerade ist: Kolonien, Kolonien, Kolonien und möglichst viele Provinzen von Staaten erobern, in denen im Laufe des Spiels Gummi, Öl und Opium auftauchen. So fühlt man sich wie ein George W. Bush der Basra und Fars erobert, um die heimische Industrie mit billigem Öl (das im Laufe des Spiels immer wichtiger wird) am Laufen zu halten.
Und ja, auch wenn das einfach eine Konsequenz des kapitalistisch-globalisierten Handelns ist und mir damit das Spiel eigentlich nur die Wahrheit auftischt, so gibt es keine sozialen und politischen Konsequenzen. Gliedere ich Kolonien konsequent ein und stelle meine Gesellschaft auf multikulturell um, dann habe ich nichts zu befürchten und kein Gandhi wird irgendwann einen Salzmarsch starten. Und meine Politik umzustellen, ist letztendlich viel zu einfach.
Und so zieht es sich durch das ganze Spiel. Es ist nett, dass sich im Laufe des Spiel die verschiedenen Interessengruppen zu Parteien zusammenschließen. Aber wenn – warum auch immer – im Jahre 1930 meine USA von einer Koalition aus Faschisten und konservativen Militaristen regiert wird, dann würde ich schon erwarten, dass sie an der politischen Struktur meines Landes drehen.
Die faschistische amerikanische Regierung der 1930er
Aber nein, sie scheinen in meinem sozial-liberalen Utopia mit Wahlrecht, Sozialgesetzgebung und “lieber” Polizei genauso glücklich zu sein wie die davor seit 50 Jahren regierende Intelligentsia im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften (mal als Kommunisten, mal als Sozialisten, mal als Progressive oder Anarchisten). Ja, da hebe ich beide Augenbrauen.
Zum Anderen war es technisch ein grausamer Release: Abstürze noch und nöcher und Performance im Keller. Probleme die eher an eine längst vergessene Paradox-Zeit von vor 15 Jahren erinnern.
Fazit: Ich liebe das Spiel. Es ist unfertig, es ist manchmal fragwürdig, es ist technisch schlecht (obwohl Patches hier schon viel verbessert haben), aber es ist wie kein anderes Spiel auf dem Markt. Da Paradox Spiele auch noch Jahre nach Release unterstützt, freue ich, die Entwicklung auch bei Victoria 3 beobachten zu können.
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